Babyfüße

Foto: © Amelie Goy

Frühförderung: was kann, was muss?

25.03.2020

In den letzten 200 Jahren hat sich unsere Einstellung zu unseren Kindern grundlegend geändert. Die Formulierung der Kinderrechte dokumentiert dies beispielhaft. Parallel dazu haben wachsender Wohlstand und veränderte Arbeitsbedingungen Lebensgrundlagen geschaffen, die in vielen Teilen der Welt ein Leben ermöglichen, dass der Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen so viel Freiraum lässt wie nie zuvor.

Eine unüberschaubare Auswahl an Möglichkeiten hat die ehemals recht festgefügten Lebenswege eines Menschen zu einem frei gestaltbaren Projekt gemacht. „Potenzial trifft Freiheit“. Sicher war es wahrscheinlich schon immer das Anliegen von Eltern, dass es den Kindern später „mal bessergehen sollte“ als ihnen selbst und speziell in den 30 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war das in Deutschland sicher ein positiver Begleitaspekt des Wirtschaftswachstums im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft. Dahingestellt sei, ob es in den 1980er Jahren einen radikalen Bruch oder in der Zeit danach eine eher schleichende Entwicklung gab, die im Zeichen des Neoliberalismus (Hoch)Leistung und die damit verbundene Angst vor dem Versagen und „Abgehängt-werden“ zu einem Motivationsmotor für die Lebensgestaltung machte und dies – sicher für manche auch unmerklich – zu deutlich veränderten Verhalten im Umgang mit unseren Kindern führte.

Schlagworte hier sind „Das Kind als Projekt“, „Frühförderung beziehungsweise frühkindliche Bildung“, „Förderwahn“, „Helikoptereltern“, „PISA-Studie“, „Eliteeinrichtungen“ und „Terminkalender für Kinder“. Neben dem unbestreitbaren Spaß den es macht, freie Zeit mit seinen Kindern zu verbringen und zu gestalten, gibt es auch inzwischen unübersehbar den Druck, der auf uns Eltern lastet, eventuell „zu wenig“ für das eigene Kind zu tun und die damit verbundene Angst es im Rennen um eine gute Zukunft ungewollt zu benachteiligen.

Nicht unerwähnt bleiben muss in diesem Zusammenhang auch der gesamtgesellschaftliche Trend, Alltags- und Freizeitaktivitäten möglichst den Status eines „Events“ zu geben. Alles muss möglichst „besonders“ sein, „alles außer gewöhnlich“ eben. Auch dies erfordert meist Planung und verdrängt manche Spontaneität und Ungezwungenheit, ruft Dienstleister auf den Plan, die Angebote entsprechend obiger Nachfrage machen „ und nach einiger Zeit gehört manches gefühlt zu einem „must have“.

Wozu obige Ausführungen?
Aus kinderärztlicher Sicht erscheint es sinnvoll und notwendig, Fragen zur Sinnhaftigkeit der Art und Weise der (Frei)Zeitgestaltung mit unseren und für unsere Kinder zu stellen. Wahrscheinlich nie zuvor in der Menschheitsgeschichte sind Kinder von uns so ernst genommen und als Persönlichkeit anerkannt worden wie heute. Es ist erfrischend zu sehen, wie selbstbewusst schon ein kleines Kind heute daherkommen kann. Zugleich aber ist die Anzahl der „gestressten“ Kinder und derer, die irgendeiner, zum Beispiel vorschulischen Fördermaßnahme bedürfen, so hoch wie nie zuvor. Dies soll in keinster Weise den Stellenwert und die schönen Aspekte gemeinsamer Aktivitäten, babynackter Stunden bei PekiP oder den Anblick freudiger Babyaugen beim Babyschwimmen infrage stellen. Auch ist nichts Grundsätzliches gegen einen Trommel- oder Fabelkurs und andere, ähnlich gelagerte Angebote zu sagen. Nichts davon aber sollte ein „Muss“, sondern allerhöchsten ein „Kann“ sein.

Wichtig erscheint in erster Linie vor allem die Teilnahme des Kindes am Alltagsleben gemeinsam mit den Eltern bzw. einem Elternteil, dem vordergründig „Sinn-losen“ und zweckfreien Beisammensein. Gegen „Mehr“ ist nichts zu sagen, aber wie bei vielen anderen Dingen im Leben macht die Dosis das Gift, oder eben den Gewinn. Das Wahrnehmen von Angeboten im Überfluss führt erfahrungsgemäß nicht automatisch zur Zufriedenheit, eher zu einer Nicht-Würdigung und einer gewissen Gier nach immer mehr. Begriffe wie die „Entdeckung der Langsamkeit“ und „Langeweile als Kreativmotor“ seien hier der Vollständigkeit halber als alternative Einstellungen genannt. Ressourcen- und nicht zuletzt planetenschonend in der praktischen Umsetzung.

Nicht unerwähnt bleiben soll abschließend selbstredend der Vorteil sozialer Kontakte von Kindern mit Kindern. Dies auch mit dem angenehmen Begleitaspekt der Möglichkeit des Gedankenaustauschs von Eltern zu Eltern im Rahmen von Treffen und Kursen. Dass – vor allem in der Winterzeit – auch jede Menge Viren mit den bekannten Folgen ausgetauscht werden, ist eine lästige, aber auch nicht unbedingt zur Immunsystemausbildung unabdingbar notwendige Begleiterscheinung, der man je nach Veranlagung des Kindes aber mehr oder weniger gelassen begegnen sollte.

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Dr. med. Bruno Wegerich

Autor:
Dr. med. Bruno Wegerich, Arzt für Kinder- und Jugendmedizin, vier weitgehend durchgeimpfte Kinder, 30 Jahre Berufserfahrung
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